Motto Maßstab Mensch
Das Motto des Büros lautet „Maßstab Mensch“. Daran, dass die Architektur dem Menschen dienen soll, hat auch die Tatsache nichts geändert, dass sie sich mehr denn je „für globale Nachhaltigkeit und für eine sichere und gerechte Klimazukunft“ verpflichten muss (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung). Nach wie vor muss der Mensch im Mittelpunkt der Architektur stehen. Nur darf er nicht länger – wie es bei der Architektur des „globalen Nordens“ zu lange und zu oft der Fall war – das Maß aller Dinge sein. Vielmehr muss heute das Maß aller Dinge für alle Architekt:innen auf der Welt sein, nachhaltig zu bauen. Wir suchen daher nach dem, was dem Menschen ebenso angemessen ist wie dem Schutz seiner natürlichen Lebensgrundlagen – ohne die sozio-ökonomischen Bedürfnisse und Bedingungen von Mensch und Architektur zu vernachlässigen. Das ist die Suche nach der Nachhaltigkeit. „Maßstab Mensch“ ist unser Name für das Denk- und Entwurfsprinzip, das uns helfen und leiten soll, in dem komplizierten, labyrinthischen Raum zwischen Mittelpunkt und Maß aller Dinge; zwischen Ökologie, Sozialem und Ökonomischem zu navigieren und die beste Position für den Menschen zu verorten.

„Mittelpunkt“ ist eine Metapher, die wir der Geometrie entnehmen. Mit dem gleich folgenden „Schwerpunkt“ machen wir es ebenso. (Die Mechanik gibt uns z. B. den „Dreh- und Angelpunkt“.) Eine weitere Metapher aus diesem Feld ist zentral für den Nachhaltigkeitsbegriff und -diskurs: das Nachhaltigkeitsdreieck und seine drei Schenkel „Ökologie“, „Soziales“, „Ökonomie“. Diese Figur kann den eben erwähnten „labyrinthischen Raum zwischen Mittelpunkt und Maß aller Dinge“ versuchs- und annäherungsweise visualisieren. Andererseits geht das „Maß aller Dinge“ über das Dreieck weit hinaus: Mit ihm ist der Umkreis gemeint, der es beherbergt. Das Maß aller Dinge als Rahmen aller Dinge. Im Umkreis, dessen Innenseite alle drei Ecken berührt, muss sich alles abspielen, und es muss ihn geben, damit sich überhaupt etwas abspielen kann. Denn es sind die natürlichen Ressourcen – die „Natur“ – die menschliches Leben erst ermöglicht. In unserem Bild visualisieren die Grenzen des Umkreises daher zugleich die sogenannten „Planetaren Grenzen“.

Viele Figuren, viele Koordinaten. Ein Zentrum als fixer Ausgangs- und Bezugspunkt wäre in der Tat hilfreich. Aber gibt es nur ein Bezugssystem? Mindestens drei solcher Punkte bieten sich nämlich als Referenzpunkt an. Denn ein Dreieck hat nicht den einen Mittelpunkt. Es hat entweder keinen oder, wenn man so will, zwei Mittelpunkte: den des Umkreises und den des Inkreises des Dreiecks – der Kreis, dessen Außenseite alle drei Schenkel des Dreiecks berührt. In welchem Mittelpunkt soll der Mensch stehen?

Was ein Dreieck aber immer hat, ist ein Schwerpunkt – genau jener Punkt des Dreiecks, der es in drei Flächen gleichen Inhalts teilt und auf dem man es balancieren könnte. Ist der Schwerpunkt damit nicht der „eigentliche“, „gefühlte“ Mittelpunkt? Schließlich soll unsere Architektur doch buchstäblich die Räume bieten, in denen der Mensch im Gleichgewicht zwischen Sozialem, Ökonomischen und Ökologischem leben/wohnen kann.

Müsste man sich aber nicht vielmehr – wenn es denn um Balance gehen soll – am Inkreismittelpunkt orientieren? Dieser Punkt hat immerhin denselben Abstand zu jeder einzelnen Dreiecksseite. Wenn der Umkreis in unserer Metapher die planetaren Grenzen sichtbar machen soll, wofür könnte der Inkreis stehen? Er könnte zum Beispiel den Arbeits- bzw. Spielraum der Architektur und des Bauens selbst darstellen. Dessen Grenzen formen sich ebenfalls als runder Rahmen und sind buchstäblich in touch mit allen drei Dreiecks-Schenkeln – den Parametern Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. Ist diese Connection nicht die Grundbedingung für das Bauen der Gegenwart überhaupt? Jede:r Architekt:in, der/die dieser Darstellung folgt, muss den Inkreismittelpunkt zwangsläufig auch als architektonischen Mittelpunkt begreifen.

Der muss allerdings auch erklären bzw. damit klarkommen, dass der Schwerpunkt des Dreiecks, wenn dieses nur extrem genug geformt ist, auch außerhalb des Inkreises liegen kann. In diesem Fall sollte der Inkreis besser nicht der Rahmen des Bauens sein – wie nachhaltig kann ein Projekt schon sein, das von vornherein nicht in der Lage ist, den drei Parametern gleich viel Platz einzuräumen? Während es durchaus möglich ist, dass der Umkreismittelpunkt, auch wenn er immer denselben Abstand zu jeder einzelnen Dreiecksecke haben mag, noch nicht einmal im Dreieck selbst liegt. Das kann dann offensichtlich auch nicht der Mittelpunkt unserer Architektur sein, in dem wir die Menschen platziert sehen wollen. Wo liegt aber die beste Position?

Nur das, was wir den „Maßstab Mensch“ nennen, kann uns bei der Verortung helfen. Dieser Maßstab ist nichts Statisches. Er ist gesamtgesellschaftlich und historisch gesehen immer eine dynamische Variable gewesen, weil sich die Vorstellung von dem „Nutzen“ – vom „Mittelpunkt“ sozusagen – den Architektur und Städtebau für den Menschen haben soll, stets ändert. Eine Zeit lang galt z. B. die „autogerechte“ Stadt als die dem Menschen angemessenste. Heute sieht man das ganz anders.

Der „Maßstab Mensch“ ist Metapher, nicht Modell. Er ist natürlich kein Werkzeug zum konkreten Entwerfen, aber er ist eins, mit dem man die eigene architektonische Haltung bestimmen und bearbeiten kann. Bei jeder neuen, individuellen Bauaufgabe gilt es immer wieder neu zu fragen: Wo genau steht der Mensch eigentlich, wenn er im Mittelpunkt dieser Architektur steht? Denn jede Bauaufgabe hat ihre eigenen Kontexte und Bedingungen. Das Dreieck kann gleichschenklig oder stumpfwinklig sein. Es sieht immer anders aus; es ist immer dabei, seine Form zu ändern. Der Mittelpunkt der Architektur – die beste Position des Menschen in ihr bzw. zu ihr– liegt nie an derselben Stelle.

Im Idealfall, dem gleichseitigen Dreieck, wäre das anders. In ihm liegen beide Mittelpunkte und der Schwerpunkt immer auf ein und derselben Stelle. Diese Kongruenz erlöst uns von allen Fragen nach Navigation und Verortung, weil die Antwort in diesem Fall immer dieselbe ist. In der Praxis sind die Bauaufgaben freilich zu verschieden für Symmetrie und Kongruenz. Und auch innerhalb jeder Bauaufgabe selbst sind die ökologischen, sozialen und ökonomischen Parameter – die drei Seiten des Dreiecks – fast immer zu unterschiedlich für Perfektion. Man könnte sich damit trösten, dass das Perfekte der Feind des Guten ist. Eine solche Haltung gäbe sich mit dem Ziel zufrieden, allzu krasse Verzerrungen des Dreiecks zu vermeiden.

Doch wir wissen: Je gleichseitiger ein Dreieck wird, desto stärker konvergieren Mittelpunkte und Schwerpunkt. Das Ziel Nachhaltigen Bauens muss es also sein, das Dreieck so gleichseitig wie möglich sein zu lassen. Wenn das Ideal der Kongruenz prinzipiell nicht zu erreichen ist, bleibt das Streben nach Konvergenz.

Den „Maßstab Mensch“ anzulegen, heißt, alle Bedingungen, Verantwortungen und Kontexte des eigenen architektonischen Handelns ebenso wie der jeweiligen Bauaufgabe als solche zu erkennen, zu verstehen und zu verhandeln, um aus diesem Prozess den jeweils besten, also angemessensten Entwurf zu destillieren und das Mögliche dafür zu tun, um das Dreieck am Ende so symmetrisch wie möglich zeichnen zu können.