Laokuvée.
Von Wein- und Stein-Etiketten.

Edle Einfalt, stille Größe: Johann Joachim Winckelmann hat den Ausdruck 1756 geprägt – inspiriert von der zweitausend Jahre alten „Laokoon-Gruppe“, vielleicht das wichtigste Zeugnis antiker Bildhauerkunst überhaupt. Neben Winckelmann macht auch Gotthold Ephraim Lessing „Laokoon“ zum Gegenstand einer ästhetischen Theorie; Goethe schwärmt „von Symmetrie und Mannigfaltigkeit, von Ruhe und Bewegung, von Gegensätzen und Stufengängen, die sich zusammen teils sinnlich, teils geistig dem Beschauer darbieten“.

Dieser Aspekt – dass sich Kontraste im und als Material vereinigen oder gar transzendieren können – ist ein herausragendes, definitorisches Merkmal der Bildhauerkunst: Licht-Schatten, Ferne-Nähe, Textur-Tiefe u.v.m. Als dreidimensionale skulpturale Kunst, bei der das Material eine entscheidende Rolle spielt, ist die Bildhauerei von allen bildenden Künsten der Architektur am nächsten.

„Ich habe Bildhauerei nie studiert – nicht direkt jedenfalls. Doch als ich, noch vor Beginn meines Architekturstudiums, das klassische Zeichnen in den Charles H. Cecil-Studios in Florenz lernte, gehörte es zu unserer Ausbildung, Abgüsse von klassischen antiken Skulpturen zu zeichnen – wie den Laokoon.“

Manchmal haben wir eine Woche lang an einer Zeichnung gesessen. In diesem kleinen indirekten Vorstudium der Bildhauerei also ging es viel um Licht und Schatten, um Chiaroscuro, um Perspektiven von Nähe und Ferne. Das hat mein architektonisches Denken schon geprägt, und seitdem spüre ich auch ein besonderes Verhältnis zum Stein. Ich mag vor allem Natursteinfassaden besonders gerne – eben weil man mit ihrer Materialität eine vielgestaltige Haptik, Optik und Tektonik erzielen kann.

Der Jura Poros von Hofmann Naturstein zum Beispiel – ein bayrischer Kalkstein, den wir für die Fassade unseres gerade fertiggestellten Vertikums in Düsseldorf verwendet haben – kann durch verschiedene Oberflächenbearbeitungen ein Farb-Spektrum von hell-beige bis warmtonig-gelb zeigen. Von weitem wirkt die Fassade des Vertikums schön einheitlich, glatt, klar. Und das entspricht auch genau der städtebaulichen Aufgabe des Gebäudes: Klarheit schaffen. Doch wer unmittelbar vor der Fassade steht, sieht und fühlt eine wundervoll abwechslungsreiche Textur, die nie dieselbe ist, weil das Licht nie dasselbe ist. Die Fassade ist ganz sie selbst, aber nie ganz mit sich identisch – oder umgekehrt. Sie ändert sich mit Tageslicht und Betrachterposition, doch an Tiefe verliert sie nie. Wie in der (antiken) Bildhauerei wollte ich harte Kanten vermeiden und fließende Übergänge schaffen.

Das Vertikum ist, natürlich, kein Laokoon.

Doch von jener „Symmetrie und Mannigfaltigkeit“, die Goethe in der Skulptur sieht, oder von der „Ruhe und Bewegung“, kann unsere Fassade auch etwas erzählen.

Der Name „Hofmann“ steht, steinmäßig, für eine beeindruckende Mannigfaltigkeit. Der (Kalk-) Stein der einen Familie Hofmann kreiert Oberflächen, die Klarheit und Komplexität vereinen. Der (Kalk-)Stein der anderen Familie Hofman kreiert Spitzenweine, für die dasselbe gilt. Oder, wie das Weingut sagt: „Auf gutem Stein wächst guter Wein“. Die Trauben stehen auf einem Boden, dessen fränkischer Muschelkalk für besondere Mineralität sorgt: dem „Röttinger Feuerstein“. Die Familien sind nicht miteinander verwandt, doch was Name und, buchstäblich, Lebensgrundlage betrifft, sind sie irgendwie doch family. Dass die beiden Kalksteindynastien bereits seit Jahren zusammenarbeiten, ist also gleichermaßen zwingend und selbstverständlich.

Jedes Jahr bittet Hofmann Naturstein einen Partner um die Gestaltung eines Weins vom Weingut Hofmann. Ich war ebenso geehrt wie erfreut, als die Anfrage dieses Mal an mich ging. 2024 ziert das Etikett den Hofmann Cuvée RR 2022, eine „komplexe Cuvée mit reifer Beerenaromatik und feinen Röstaromen“.

Ich habe mich dazu entschieden, ein Detail aus der Laokoon-Gruppe auf das Etikett drucken zu lassen. (Großer Dank an den Gestalter Hendrik Sichler, der mir bei Idee und Durchführung sehr geholfen hat.) Es ist ein schmaler Ausschnitt, relativ grob gedruckt. Aus der Nähe sind eher abstrakte, bewegte Rundformen auszumachen. Halte ich die Flasche jedoch auf Armabstand, erkenne ich klar eine sehr elegante Schulter- und Oberarmpartie. Das wirkt „teils sinnlich, teils geistig“ – und genau das trifft auch auf den Hofmann-Wein zu.

Caspar Schmitz-Morkramer

 

Hofmann Naturstein Weingut Hofmann

 

Bildquelle Laokoon-Gruppe: Wikipedia